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Humanitäre Stadt = Ghetto. Und was kommt nach dem Ghetto?

Bei einer Urlaubsreise durch Städte im Baltikum erfahre ich: Im zweiten Weltkrieg wurden die Juden aus ihren Häusern vertrieben und in Ghettos gesperrt. Danach wurden sie vernichtet. Ganze Stadtteile sind auf diese Weise entvölkert worden.

Aus dem Urlaub zurück erfahre ich: Nachdem Israel die Häuser der Palästinenser im Gazastreifen zerstört hat, will Israel nun die bislang überlebenden Menschen in einem Ghetto zusammenpferchen. Israel bezeichnt das Ghetto als „humanitäre Stadt“.

In der israelischen Tageszeitung Haaretz fragt der Kommentator Gideon Levy, was eigentlich danach kommen soll. Hier ein kurzes Zitat daraus, erst auf deutsch, dahinter das englische Original:

„Als ob 21 Monate, in denen Babys, Frauen, Kinder, Journalisten, Ärzte und andere Unschuldige getötet wurden, nicht schon genug wären, sollte der Ghetto-Plan alle Warnlampen aufleuchten lassen. Israel verhält sich, als ob es einen Völkermord und eine Vertreibung plant.“

„If 21 months of seeing the death of babies, women, children, journalists, doctors and other innocents was not enough, the ghetto plan should be turning on all the warning lights. Israel is behaving as if it is planning genocide and expulsion.“

https://www.haaretz.com/opinion/2025-07-10/ty-article-opinion/.premium/the-jewish-state-is-building-a-ghetto/00000197-f0b4-d976-afbf-fdbd59460000?lts=1752312848931

Und nun?

In Deutschland ist es nicht so einfach, etwas gegen Israel zu sagen. Es besteht die Gefahr, als Antisemit wahrgenommen zu werden. Das aber kommt in Deutschland dem gesellschaftlichen Tod gleich. Da sagt man lieber nichts. Oder man äußert nur vorsichtig seine „Besorgnis“.

Soll ich auch nichts sagen? Oder nur vorsichtig meine „Besorgnis“ äußern? Oder soll ich an einer propalästinensischen Demo in Berlin teilnehmen? Um anschließend in den Kartei der Polizei als potentieller antisemitischer Gewalttäter geführt zu werden? Obwohl ich eigentlich nur für Menschenrechte eintreten will?

Wahrscheinlich haben nur die wenigsten Leute hier ein Online-Abo von der Haaretz, um den ganzen Artikel zu lesen. Macht nichts. Die Kommentare zu dem Artikel sind frei zugänglich. Und es lohnt sich, auch die Kommentare zu lesen.

Ansonsten lohnt sich auch ein Online-Abo von der Haaretz. Diese israelische Tageszeitung redet Tacheles, statt Israel in Watte zu packen, wie es deutscher Standard ist.

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Kommentare

2 Antworten zu „Humanitäre Stadt = Ghetto. Und was kommt nach dem Ghetto?“

  1. Daniel Cornicius

    2 Punkte:

    1. Es gibt einen viele Unterschiede zwischen dem Umgang des 3. Reiches mit den Juden überall, wo sie Zugriff hatten, davon einen besonders deutlichen: Die Juden haben keinen Krieg gegen Deutschland geführt, wie ihn Hamas und andere militante Palästinensergruppen gegen Israel führen, oder sonst irgendeine Aggression oder einen Übergriff auf Deutschland verübt, die auch nur annähernd vergleichbar gewesen wären mit den unzähligen Anschlägen durch militante Palästinenser in Israelund anderswo, mit den mittlerweile seit Jahrzehnten anhaltenden Raketen- und Mörserbeschüssen auf israelisches Territorium oder mit der Massenermordung israelischer Zivilisten, der (immer noch anhaltenden!) Geiselnahme, Folterung und Vergewaltigung derselben. Deshalb empfinde ich die Vergleiche mit dem 3. Reich als völlig unangemessen und eine Pervertierung der historischen Tatsachen.

    2. Ist es durchaus möglich, Kritik an der Politik Israels zu äußern, ohne gesellschaftliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Das gehört ja mittlerweile gewissermaßen zum Mainstream. Man muss sich in diesem Fall aber stets den Vorwurf der Einseitigkeit gefallen lassen, wenn man nicht im selben Atemzug die Methoden der Kriegführung auf palästinensischer Seite durch Hamas – die keinerlei internationale Regularien der Kriegführung respektiert – kritisiert und die Forderung erhebt, dass Hamas augenblicklich auf jede Form der Kriegführung verzichten solle und allem voran jede einzelne Geisel sofort freilassen möge. Da es für diese Einseitigkeit bei vielen Beobachtern keine plausible Erklärung gibt, sehen diese häufig darin eine antisemitische Motivation und äußern entsprechende Vorwürfe. Das ist nach meiner Auffassung tatsächlich sehr oft eine nicht gerechtfertigte Schlussfolgerung.

    Aber auch ich kann mir diese Form der Einseitigkeit bestenfalls mit einer gewissen Naivität erklären, die man sich hierzulande ausschließlich aufgrund eines außerordentlich lange genossenen Friedens leisten kann. Mein Vorwurf an entsprechende Kritik lautet daher nicht „Antisemitismus“, sondern „Einseitigkeit“, die ich noch dazu deshalb als besonders problematisch ansehe, da dieselbe durch eine massive Medienkampagne der Hamas und ihrer Unterstützer begleitet wird. Diese zielt darauf ab, eine klare Rollenverteilung im Nahostkonflikt in Israel als „Täter“ und das Volk der Palästinenser als „Opfer“ vorzunehmen. Sie ist mittlerweile zur Hauptwaffe der Hamas geworden und das mit großem Erfolg, wie man weltweit sieht.

    Fazit: Für mich ist die Lage in Gaza weit weniger klar, als es für viele andere zu sein scheint. Hier passiert KEIN Genozid! Vielmehr führen zwei Parteien Krieg, von denen die eine das Leid der Zivilisten ihrer eigenen Seite bewusst und ganz gezielt als Waffe im Kampf einsetzt. Dass dies so wenige Menschen zu stören scheint, irritiert mich zutiefst.

    1. Matthias Lohrer

      Danke, Daniel, für deinen Kommentar.

      Dazu folgende Anmerkungen.

      Propaganda 1:

      Nein, an die Hamas-Propaganda, dass sie eine „Befreiungsbewegung“ für Palästinenser sei, glaubt hier keiner. Die Hamas ist der schlimmste Feind der palästinensischen Bevölkerung. Sonst würden sie ihre Kommandozentralen nicht unter Krankenhäuser errichten und jeden Widerstand gegen sich in der palästinensischen Bevölkerung brutal unterdrücken.

      Propaganda 2:

      Es gibt auch israelische Propaganda. Die geht so: Israel muss diesen Krieg führen, weil die Hamas ja immer noch israelische Geiseln hat. Bei der Haaretz ist man sich einig: Wenn Netanjahu die Geiseln wirklich frei bekommen wollte, hätte er das schon längst erreichen können, wer er es nur wollte. Seine Ziele sind aber andere. Und welche Ziele sind das?

      Dazu empfehle ich, zu lesen, was der frühere israelische Ministerpräsident Ehud Olmert jetzt gesagt hat.

      Einen kurzen Hinweis dazu bringt die Süddeutsche Zeitung:

      Ex-Ministerpräsident Olmert nennt geplantes Camp „Konzentrationslager“
      https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-news-nahost-regierung-kriegsverbrechen-vorwurf-konzentrationslager-olmert-li.3280192

      Und ein lesenwerter, ausführlicher Bericht dazu im Guardian:
      ‘Humanitarian city’ would be concentration camp for Palestinians, says former Israeli PM
      https://www.theguardian.com/world/2025/jul/13/israel-humanitarian-city-rafah-gaza-camp-ehud-olmert

      Ich zitiere mal die ersten Sätze daraus:

      The “humanitarian city” Israel’s defence minister has proposed building on the ruins of Rafah would be a concentration camp, and forcing Palestinians inside would be ethnic cleansing, Israel’s former prime minister Ehud Olmert has told the Guardian.
      Israel was already committing war crimes in Gaza and the West Bank, Olmert said, and construction of the camp would mark an escalation.
      “It is a concentration camp. I am sorry,” he said, when asked about the plans laid out by Israel Katz last week. Once inside, Palestinians would not be allowed to leave, except to go to other countries, Katz said.
      Katz has ordered the military to start drawing up operational plans for construction of the “humanitarian city” on the ruins of southern Gaza, to house initially 600,000 people and eventually the entire Palestinian population.

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